Der pflanzliche Grundstoff für den aus Südafrika stammenden Kräutertee soll mit Nikotin angereichert und in Form von Sticks für E-Zigaretten verkauft werden. Ab dem 23. Oktober sind aromatisierte Tabaksticks, die in E-Zigaretten erhitzt werden, in der EU verboten.

Die Tabakbranche kämpft wegen des wachsenden Gesundheitsbewusstseins, aber auch wegen steigender Steuern in einigen Märkten mit einer sinkenden Nachfrage nach herkömmlichen Zigaretten - und lässt sich Alternativen einfallen. Schon seit mehreren Jahren stellt die Industrie «risikoreduzierte» Produkte her, bei der die Raucher eine Substanz in einer E-Zigarette erhitzen, anstatt sie zu verbrennen. Doch Tee als Tabakersatz ist eine Neuheit.

Der Tabakkonzern British American Tobacco (BAT) hat in Deutschland und acht weiteren europäischen Ländern bereits nikotinhaltige Sticks auf den Markt gebracht, die Rooibos-Substrat statt Tabak als Basis enthalten. Der Hersteller von Camel und Lucky Strike will das Produkt weltweit einführen.

Auch der Rivale Philip Morris (PMI) will noch in diesem Jahr mit der Markteinführung eines tabakfreien Sticks beginnen, wie das Unternehmen auf einem Investorentag mitteilt. Ob seine neuen Sticks auch Rooibos enthalten, wollte das Unternehmen nicht sagen. Die Konkurrenten Imperial Brands und Japan Tobacco äussern sich nicht dazu, ob sie solche oder ähnliche Produkte auf den Markt bringen werden.

Wissenschaftler fordern mehr Regulierung

Gesundheitsexperten warnen indes vor den Risiken der neuen Produkte. «Alles, was verbrennt oder verdampft und in die Lunge eingeatmet wird, hat wahrscheinlich gewisse Auswirkungen», sagt Erikas Simonavicius, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Londoner King's College. Die Tabakunternehmen hätten bisher keine Forschungsergebnisse zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Rooibos oder anderen tabakfreien Sticks veröffentlicht, fügt er hinzu. Sowohl BAT als auch Philip Morris lehnten eine Stellungnahme zu möglichen Untersuchungsergebnissen und Gesundheitsrisiken ab.

Wissenschaftler fordern, auch neue Alternativprodukte für Raucher müssten angemessen reguliert werden, damit sie nicht noch mehr Menschen zum Nikotinkonsum verleiten. «Um das zu verhindern, muss man sehr streng darauf achten, wie diese Produkte vermarktet und präsentiert werden», sagt Lion Shabab, Professor für Gesundheitspsychologie am University College London. Die Tabakunternehmen verweisen darauf, ihre neuen Produkte seien nicht für Nichtraucher gedacht. Unterdessen streiten in Deutschland bereits kleinere Anbieter von Teestäbchen mit den Behörden darüber, ob ihre Produkte unter die bestehenden Tabaksteuervorschriften fallen, sagt Anwältin Fabienne Diekmann, die einige der Unternehmen vertritt.

Schlupfloch im EU-Gesetz

Mit den neuen Produkten können die grossen Hersteller das EU-Verbot zumindest zeitweilig umgehen. Anders als ihre tabakhaltigen Pendants unterlägen die Sticks auf Pflanzenbasis nicht der behördlichen Kontrolle, sagt PMI-Chef Jacek Olczak. Auch die Zero-Tobacco-Sticks von BAT sind nach Unternehmensangaben nicht den derzeitigen EU-Tabakvorschriften betroffen. Deshalb können die Konzerne ihre Rooibos-Sticks in Geschmacksrichtungen wie Pfefferminze und Tropical Fruits auch dann noch verkaufen, wenn am kommenden Montag das Verbot von aromatisierten erhitzten Tabakprodukten in der gesamten EU in Kraft getreten ist.

«Der offensichtliche Vorteil dieser Produkte ist die Möglichkeit, Menthol- und Aromasorten auf dem EU-Markt zu halten», sagt Jefferies-Analyst Owen Bennett. Die tabaklosen Produkte erweitern nicht nur die Produktpalette der Konzerne, sondern auch deren Gewinnspannen: Rooibos-Sticks von BAT etwa werden in Deutschland der offiziellen Website zufolge für 5,80 Euro verkauft. Das ist auch der Preis der meisten aromatisierten Tabak-Sticks des Unternehmens - obwohl das neue Produkt nicht der Tabaksteuer unterliegt. In der gesamten EU müssen erhitzte Tabakerzeugnisse mit mindestens 20 Prozent des Einzelhandelspreises besteuert werden, die nationalen Regierungen können deutlich höhere Sätze festlegen können.

Es sei jedoch unwahrscheinlich, dass dieser Steuervorteil lange anhalten werden, sagen Bennett und sein Kollege Phil Gorham von Morningstar. In Zukunft würden die Behörden wohl nicht unterscheiden, ob Tabak erhitzt wird oder ein anderer Pflanzenstoff. Gorham sagt voraus: «Die nächste Phase der Regulierung wird auf Nikotin abzielen.» 

(Reuters)